Kolumne von Carmen Frei

Wer will noch in Reih und Glied beerdigt werden? Für den Newsletter von palliative aargau macht sich die Aargauer Gerontologin und Journalistin Carmen Frei Gedanken zur Bestattungskultur.

Bloss kein Reihengrab

Seit fünf Jahren wohne ich in der Nähe des Hallwilersees. Rund um den See unterwegs, im oder auf dem Wasser sein zu können, ist für mich eigentlich Erholung pur. Doch regelmässig bin ich irritiert. Denn der Hallwilersee ist ein Grossfriedhof. Bei Plätzchen mit besonders schönem Blick auf dem See finden sich Trauerkerzen und Erinnerungszeichen. Auf dem Wasser schwimmen Rosenblütenteppiche durchzogen von der Menschenasche, die nicht immer ganz so schnell absinkt, wie sich das viele vorstellen.

Bestattungskultur im Wandel

Als Folge des Altersüberhangs in unserer Gesellschaft wird in den nächsten Jahren so viel gestorben wie noch nie. Das wird sich auch auf die Bestattungskultur auswirken.

Jahrhundertelang galt eine allgemeine Akzeptanz der traditionellen christlichen Abschiedsrituale. Der Friedhof war letzte Ruhestätte. Heute herrscht in der Schweiz kein Friedhofzwang mehr. Nach der Kremation – diese kam gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf und war noch bis 1963 für Angehörige der römisch-katholischen Kirche verboten – kann über die Asche frei verfügt werden. Die Urne darf im eigenen Garten beigesetzt, die Asche zu einem Diamanten verarbeitet oder vom Flugzeug aus über dem Lieblingsberg verstreut werden.

Einen Kontrast zu dieser liberalen Haltung bilden die meist strengen Friedhofreglemente der Gemeinden. Eine Folge davon ist ein mittlerweile oft gehörter Satz: «Bloss kein einheitlich bepflanztes Reihengrab.» Vor allem auf städtischen Friedhöfen werden darum neue Formen erprobt. So auf dem Zürcher Friedhof Sihlfeld, wo beispielsweise ein spezielles Gräberfeld für die LGBT-Gemeinschaft geschaffen wird, also für lesbische, schwule, bisexuelle und Transgender-Menschen. In ländlichen Gegenden jedoch sind Projekte wie die «himmlischen Eichen» bei Lenzburg noch eher die Ausnahme.

Individuell oder günstig

Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass die Bestattungskultur der Zukunft hauptsächlich von zwei Faktoren geprägt sein wird: Der Individualisierung und der Kosten-Nutzen-Rechnung. Eine klassische Beerdigung geht ins Geld. Das wollen und können sich je länger je weniger Menschen leisten. Auf der anderen Seite bietet der Bestattungsmarkt eine Vielzahl an Möglichkeiten in Bezug auf die Abschiedsfeier, Grabart oder den Bestattungsort. Überdies verlagert sich die Pflege der Erinnerungskultur zunehmend weg vom analogen hinein in den digitalen Raum.

Ich selber habe mich für einen Baum im Friedwald als letzte Ruhestätte entschieden. Ab und an mache ich ein Velotürli und besuche ihn. «Mein» Baum lädt mich ein, das Leben vom Ende her zu denken. Eine Übung, die mich stets tief dankbar für mein Dasein und zufrieden macht. Und mich in versöhnliche Verbindung bringt mit jenen Verstorbenen, denen ich ständig am Hallwilersee begegne – ob ich das nun will oder nicht.

 

 

persönlich

Carmen Frei, 54, wohnt in Fahrwangen und arbeitet selbständig als Journalistin BR, diplomierte Ritualgestalterin und Gerontologin MAS. Sie war langjährig in der Kommunikation grosser Pflegeinstitutionen tätig. Dieser Berufsalltag mit Menschen am Lebensende und die zahlreichen, bereichernden Erlebnisse im familiären Umfeld haben ihren Umgang mit den Themen rund ums Sterben und den Tod auf eine gute Art geprägt.